Italien auf einer Karte markiert.
SRG Deutschschweiz Magazin LINK

Arbeitsalltag in Italien: Sich im medialen Dickicht zurechtfinden

Italien ist ein schönes Land. Mitunter aber auch ein lautes. Laut sind zum Beispiel die «motorini», die Mofas. Und noch lauter sind die Medien. Und geht es um Innenpolitik, worum es in Italien oft geht, dann überborden italienische Medien. Ein Gastbeitrag von SRF-Korrespondent Franco Battel.

Heute zum Beispiel liegen auf meinem Schreibtisch «La Stampa» aus Turin, «La Repubblica» aus Rom und der «Corriere della Sera» aus Mailand. Darin finde ich neun Seiten Innenpolitik in der Repubblica, sieben in der Stampa, acht im Corriere. Das kann man gar nicht alles wirklich seriös durchlesen! Zumal ich im Internet noch weitere Zeitungen konsultiere, die noch mehr Berichte, Interviews, Analysen oder Kommentare zur italienischen Innenpolitik publizieren.

«Versprechungen und auch ganz konkrete Ankündigungen sollte man in Italien nie zum Nennwert nehmen.»

Franco Battel, SRF-Radio-Korrespondent Italien

An dieses mediale Dickicht muss man sich zuerst einmal gewöhnen. Man muss sich zurechtfinden. Denn nur das wenigste von dem, was geschrieben wird, ist wirklich von Belang. Mehr als andernorts muss man die Spreu vom Weizen trennen. Dabei hilft eigentlich nur die Erfahrung. Hier zwei Beispiele: Versprechungen und auch ganz konkrete Ankündigungen sollte man in Italien nie zum Nennwert nehmen. Auch Italiener tun das nicht. Selbst wenn sie über lange Zeitungsseiten ausführlich beschrieben werden. So wurde zum Beispiel der Ersatz für die eingestürzte MorandiBrücke in Genua zuerst innerhalb von sechs Monaten versprochen. Dann innerhalb von einem Jahr. Heute, eineinhalb Jahre nach dem Einsturz, steht noch nicht einmal der Rohbau. Also: einen grossen Teil der Artikel, die Versprechungen und Absichtserklärungen präsentieren, kann man sich schenken.

Franco Battel

Und wenn Politiker A sagen, dann heisst das längst nicht immer A. Das kann auch B oder C heissen. Sicher, das gibt es überall. Doch in Italien sind die Fälle zuweilen krass. Auch hier ein Beispiel: Matteo Salvini hatte, als er noch der Regierung angehörte und Innenminister war, stets behauptet, seine Partei, die Lega, stehe felsenfest hinter der Koalition mit den Cinque Stelle. Immer wieder bestätigte Salvini das in langfädigen Interviews. Bis er dann ziemlich unvermittelt im letzten Sommer das Ende der Koalition und für sich selbst umfassende Vollmachten forderte.

Wenn man das weiss, dann lässt man sich vom vielen Zeitungspapier, das sich jeden Tag auf dem Schreibtisch stapelt, nicht mehr einschüchtern. Und zum Glück gibt es ganz in der Nähe meines Büros eine Bar. Cappuccini und reichlich mit Nutella gefüllte Cornetti sind eine willkommene Stärkung. Auch sie helfen dabei, sich im medialen Dickicht zurechtzufinden.


In der LINK-Kolumne 2020 geben SRF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten einen persönlichen Einblick in die Medienwelt ihrer Tätigkeitsregion.


Text: Franco Battel

Bild: SRF/Severin Nowacki

Diese Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Bild von Werner van Gent: «Die Unabhängigkeit muss in den Köpfen beginnen»

Werner van Gent: «Die Unabhängigkeit muss in den Köpfen beginnen»

Vor zehn Jahren sah es noch so aus, als wolle die SRG keine eigenen Ausland­korrespondenten mehr beschäftigen. Heute brüstet sich das Unternehmen mit der hohen Qualität der Hintergrundberichte. Ein Gespräch mit Werner van Gent über die ­Entwicklung seines Berufsstandes.

Weiterlesen

Bild von Arbeitsalltag in Russland: Im Interesse der Politik

Arbeitsalltag in Russland: Im Interesse der Politik

In der LINK-Kolumne 2020 geben SRF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten einen persönlichen Einblick in die Medienwelt ihrer Tätigkeitsregion. Dieses Mal mit Luzia Tschirky, SRF-Fernsehkorrespondentin in Russland.

Weiterlesen

Bild von Anita Bünter und Jonas Bischoff neue Nahost-Korrespondenten

Anita Bünter und Jonas Bischoff neue Nahost-Korrespondenten

Ab Sommer 2021 berichten Anita Bünter und Jonas Bischoff neu als TV-Korrespondenten für das Schweizer Fernsehen aus dem Nahen Osten. Sie übernehmen zusammen die Nachfolge von Pascal Weber, der als Korrespondent in die USA wechselt.

Weiterlesen

Teilen Sie uns Ihre Meinung mit (bitte beachten Sie die Netiquette und Rechtliches)

Lade Kommentare...

Kommentarfunktion deaktiviert

Uns ist es wichtig, Kommentare möglichst schnell zu sichten und freizugeben. Deshalb ist das Kommentieren bei älteren Artikeln und Sendungen nicht mehr möglich.