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SRF-Sendung «SRF bi de Lüt – Familiensache 1/5» beanstandet II

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Mit Ihrer E-Mail vom 10. Januar 2020 beanstandeten Sie die Sendung «SRF bi de Lüt – Familiensache 1/5» (Fernsehen SRF) vom 3. Januar 2020.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Es wird ein Paar begleitet, welches bereits ein Kind von einer Leihmutter austragen liess. Ein weiters soll nun auf diese Weise entstehen. In der Schweiz ist das verboten. Aus der Forschung weiss man inzwischen, dass ein Kind bereits im Mutterbauch eine grosse Verbindung mit der Mutter aufbaut. Es kennt ihren Herzschlag, ihre Stimme, ihre Ernährung und die Gefühle usw. Wenn das Kind dann nach neun Monaten weggeben wird, ist das eine traumatische Erfahrung für das Kind. Deswegen und auch aus vielen anderen Gründen ist das in der Schweiz verboten. Nun macht quasi das Schweizer Fernsehen Werbung für Leihmutterschaft. Ich finde das empöhrend und sehr stossend!»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «SRF bi de Lüt» antwortete Herr Hansjörg Niklaus, Senior Producer, Bereich Factual Entertainment:

„Frau X beanstandet, dass das Schweizer Fernsehen Werbung für die Leihmutterschaft mache. Gerne nehmen wir dazu Stellung.

Im Sendeformat ‚SRF bi de Lüt – Familiensache‘ gewähren jeweils drei unterschiedliche Familien einen intimen Einblick in ihr Privat- und Berufsleben. ‘SRF bi de Lüt – Familiensache’ hat zu den Protagonisten eine grosse Empathie, ohne jedoch die nötige Distanz zu verlieren. Die Authentizität der Protagonisten ist oberstes Gebot. Dabei sein ist das Wichtigste, beobachtend und begleitend und nie inszeniert. Die Auswahl der Protagonisten für das Format erfolgt anhand der publizistischen Leitlinien des Schweizer Radio und Fernsehens SRF. Gemäss den Leitlinien sind für die Auswahl die Kriterien Relevanz und Publikumsinteresse wegleitend.[2]

Die Leihmutterschaft ist in der Schweiz ein umstrittenes und gesellschaftlich relevantes Thema. Immer mehr hetero- wie auch homosexuelle Paare erfüllen sich mit einer Leihmutterschaft ihren Kinderwunsch. Wie viele Schweizer Paare eine Leihmutterschaft im Ausland in Anspruch nehmen, ist nicht erfasst. Der Bundesrat hält aber fest, dass es eine zunehmende gesellschaftliche Realität in der Schweiz ist.[3] Die gesellschaftliche Relevanz und das Publikumsinteresse sind damit gegeben. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass auch die Programmautonomie den Redaktionen die freie Wahl von Thema und Fokus einer Sendung erlaubt.

In der Schweiz ist die Leihmutterschaft verboten. Strafbar ist aber nur, wer bei einer Leihmutter ein Fortpflanzungsverfahren anwendet oder Leihmutterschaften vermittelt (Art. 31 des Bundesgesetzes über die medizinische Fortpflanzung). Weder die Leihmutter noch die Wunscheltern unterliegen der Strafandrohung. Insofern ist das Vorgehen des portraitierten gleichgeschlechtlichen Paares in der Schweiz strafrechtlich nicht relevant.

In anderen Ländern ist die Rechtslage jedoch anders. In verschiedenen Gliedstaaten der USA ist die Leihmutterschaft erlaubt und gesetzlich klar geregelt. Weder die Leihmutter noch die Wunscheltern unterliegen der Strafandrohung. Beim porträtierten Paar fand die Leihmutterschaft im US-Bundesstaat Connecticut statt, wo die Leihmutterschaft erlaubt und rechtlich klar geregelt ist. Das portraitierte Paar hat aus diesen Gründen weder aus Schweizer noch aus amerikanischer Sicht eine rechtswidrige Handlung vorgenommen und es wurde in der Sendung auch keine rechtswidrige Handlung dargestellt.

Im Vorfeld der Sendung hat sich die Redaktion neben den rechtlichen Abklärungen auch mit den ethischen Fragen rund um die Leihmutterschaft befasst. Wegleitend dabei waren die ausführlichen Stellungnahmen der nationalen Ethikkommission (NEK). Die nationale Kommission Ethikkommission hält fest, dass die Leihmutterschaft weder dem Kindswohl entgegenstehe noch der Leihmutter einen Schaden zufüge: <Während der Schwangerschaft entwickeln sich zwischen der Leihmutter und dem Fötus psychische und biologische Bindungen. Nach der Geburt werden diese Bindungen abgebrochen, da nun die Wunschmutter für die Weiterführung der Mutter-Kind-Beziehung sorgt. Die NEK anerkennt die Bedeutung dieser Bindungen als erhebliche epigenetische Komponente. Aus Sicht des Kindeswohls ist sie der Auffassung, dass die Leihmutter ein Interesse an der Pflege dieser Bindungen hätte, obwohl sie weiss, dass sie das Kind, das sie austrägt, nach der Geburt der Wunschmutter übergeben muss. Für die Leihmutter ist diese Trennung wahrscheinlich eine schmerzliche Erfahrung. Nach Meinung der NEK wird das Kind aber nicht wirklich seinem Schicksal überlassen, da es von den Wunscheltern übernommen wird, die dem Kind die Fürsorge und Aufmerksamkeit gewährleisten, die es benötigt.> [4] Aus Gründen der Nichtdiskriminierung sollte die Fortpflanzungsmedizin gemäss NEK nicht nur heterosexuellen, sondern auch homosexuellen Paaren zustehen.[5]

Zusammenfassung

Das Portrait des homosexuellen Paares, welches sich seinen Kinderwunsch mittels Leihmutterschaft erfüllt, entspricht vollumfänglich den publizistischen Leitlinien von SRF sowie den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG). Die Thematik ist gesellschaftlich relevant und von hohem Publikumsinteresse. Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, dass die Beanstandung nicht zu unterstützen ist. Wir bedanken uns für die Gelegenheit zur Stellungnahme.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ein Stück weit kann ich Ihre Empörung nachempfinden. Persönlich habe ich auch Mühe mit solchen Eingriffen in den natürlichen Ablauf von Leben und Tod. Aber Hand aufs Herz: Sind denn die Konstellationen, die wir bisher kennen, alle «natürlich»? Es gab doch bisher schon Kinder, die im Heim aufwuchsen, also nicht bei Papa und Mama. Es gibt alleinerziehende Mütter, alleinerziehende Väter, also fehlt immer ein Elternteil. Es gibt Kinder, die bei den Großeltern oder bei Tanten aufwachsen oder von der Schwester oder vom Bruder erzogen werden. Die Konstellationen sind eben nicht immer «normal».

«SRF bi de Lüt» präsentiert in der Sendung drei Familien-Konstellationen, drei Schicksale gewissermaßen, die interessant sind und auch berühren: eine Familie, die mit 100 Tieren lebt und in der die Kinder zwei Stiefgeschwister haben (aus der ersten Ehe der Frau); eine Familie, die mit der schweren Krankheit des Sohnes und mit dem Suizid des Vaters zurechtkommen muss; eine Familie schließlich, die es nur dank Leihmüttern gibt. Das Fernsehen propagiert nichts, es schildert ganz einfach die Realität, und zu der gehören solche Familien, wie sie «SRF bi de Lüt» vorstellt, eben auch.

Die einfühlsam erzählte Reportage bringt uns Realitäten näher, die uns auf den ersten Blick vielleicht befremden, ja schockieren, die aber zur Buntheit des Lebens dazugehören.

Die rechtliche Situation hat Herr Niklaus eingehend dargelegt. Da habe ich nichts beizufügen. Die Reportage ist in keiner Weise Werbung für bestimmte Lebensformen. Sie ist sachgerecht.

Ich kann deshalb Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann


[1] https://www.srf.ch/play/tv/srf-bi-de-luet---familiensache/video/srf-bi-de-luet-familiensache-15?id=ae7bb51a-f157-4511-b16e-d7a01e6d8557

[2] Punkt 3.1. Auswahlkriterien und Prioritäten / Quelle: https://www.srf.ch/unternehmen/unternehmen/qualitaet/publizistische-leitlinien-srf

[3] Bericht zur Leihmutterschaft – Bericht des Bundesrats vom 29. November 2013, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2013/2013-11-29/ber-br-d.pdf

[4] Bericht NEK, S. 47-48, https://www.nek-cne.admin.ch/inhalte/Themen/Stellungnahmen/NEK_Fortpflanzungsmedizin_de.pdf

[5] https://www.nek-cne.admin.ch/inhalte/Themen/Stellungnahmen/NEK_Fortpflanzungsmedizin_de.pdf

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