Wenn Medien über Medien berichten (müssen)

«Jetzt wissen wir wenigstens, was bei uns genau läuft», sagten mir einige Mitarbeitende von CH Media, nachdem wir bei SRF über den Personalabbau des Konzerns in Aarau und Solothurn berichtet haben. Es ist ein Kompliment, das man lieber nicht hören möchte, für eine Aufgabe, die man lieber nicht erfüllen müsste.

140 Vollzeitstellen gehen verloren bei CH Media in der ganzen Schweiz. «Der Stellenabbau ist für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens unvermeidbar», wird CEO Michael Wanner in einer Mitteilung vom Dezember zitiert. Es fehlt an Werbeeinnahmen, die Folgen für die regionale Medienlandschaft sind gravierend. Auch in unseren beiden Kantonen verlieren Journalistinnen und Journalisten ihre Stelle.

Bei Radio Argovia in Aarau und Radio 32 in Solothurn waren noch vor wenigen Jahren in etwa gleich viele Redaktorinnen und Redaktoren beschäftigt wie im SRF-Regionalstudio. Inzwischen kommen die Radio-Nachrichten zentralisiert aus Zürich und Luzern, die regionalen Inhalte werden im grossen Ganzen noch von einer einzigen Person pro Tag verantwortet, in Zusammenarbeit mit den digitalen Plattformen unter dem Namen «Today».

CH Media schweigt, SRF berichtet trotzdem
Allerdings wurden auch die Today-Redaktionen massiv zusammengestrichen, mehrere (junge) Journalistinnen und Journalisten haben ihre Kündigung erhalten. Detaillierte Auskünfte zu Umfang und Folgen des Personalabbaus hat CH Media nie erteilt, auch nicht auf Nachfrage. Trotzdem haben wir in unserer Sendung «Regionaljournal» ausführlich berichtet – die Fakten haben wir durch unzählige Gespräche und aufgrund von Recherchen in sozialen Netzwerken ermitteln können.

Inzwischen weiss ich aus mehreren Quellen, dass nicht nur bei den elektronischen Medien, sondern auch bei den Redaktionen der Print-Titel gespart wurde oder wird – bei der «Aargauer Zeitung» gab es mindestens eine Kündigung, einige Stellen wurden nicht mehr besetzt. Der Personalbestand in den Redaktionen ist ebenfalls gesunken. Noch ist offen, wie sich das genau auf das journalistische Angebot auswirken wird.

Medienjournalismus gibt es immer weniger
«Medienthemen interessieren das Publikum nicht», höre ich einen ehemaligen Mitarbeiter von mir sagen. Tatsächlich sind viele Medien-Seiten aus den Zeitungen verschwunden, die «Medienwoche» publiziert nicht mehr, Medien berichten nur noch unregelmässig über andere Medien, vielleicht mal abgesehen vom «Medientalk» bei Radio SRF oder dem grossen Medien-Watchblog der Republik.

Trotzdem haben wir über den Stellenabbau bei CH Media berichtet. Denn dieser Personalabbau ist nicht nur aus ökonomischer Perspektive relevant, er ist auch aus (medien-)politischen Gründen ein Thema. Die Medienvielfalt in unserer Region ist aus meiner Sicht gefährdet. CH Media ist der mit Abstand einflussreichste und wichtigste Medienkonzern in den Kantonen Aargau und Solothurn. Wenn CH Media journalistische Leistungen abbaut, dann geht das nicht spurlos an unserer Region vorbei.

Schon heute decken die Redaktorinnen und Redaktoren der «Aargauer Zeitung», der «Solothurner Zeitung» oder des «Oltner Tagblatts» (und derer digitalen Ausgaben natürlich) den wohl grössten Teil der politischen Berichterstattung aus Kantonen und Gemeinden ab. Natürlich gibt es noch immer einige lokale Publikationen mit journalistischem Anspruch, die «Neue Fricktaler Zeitung» oder der «Wohler Anzeiger» zum Beispiel. Aber viele Themen werden nur von CH Media an die Öffentlichkeit gebracht.

Es droht eine journalistische Wüste
Wenn nun aber auch der letzte mediale «Platzhirsch» seine Redaktionen immer kleiner macht, dann verliert die sogenannte «vierte Gewalt» in der Region massiv an Einfluss. Was das bedeuten würde? Gemeinderäte könnten ihre amtlichen Mitteilungen publizieren, ohne sich davor fürchten zu müssen, dass eine Journalistin noch kritische Nachfragen stellt. Die Kantonsregierung könnte ihre neuen Ideen auf den eigenen Kanälen in sozialen Medien in hübschen Worten und professioneller Gestaltung unter die Leute bringen. Kein gut informierter Redaktor würde diese Ideen noch in einen politischen Kontext einordnen oder sogar die Hintergründe erklären, welche die Kantonsregierung lieber nicht thematisieren möchte.

Wenn ich an eine solche mediale Zukunft in unserer Region denke, dann stimmt mich das nachdenklich. Umso wichtiger ist es, dass wir alle den aktuell noch vorhandenen Journalismus schätzen und wertschätzen, also zum Beispiel ein Abonnement lösen für die «Aargauer Zeitung» (ich lese keine Zeitung, sondern bezahle für die App, ganz einfach direkt über den Apple-Shop). Und umso wichtiger ist es auch, dass eine minimale Konkurrenz durch SRF auch in dieser Region gewährleistet bleibt.

Es braucht auch das kleine «SRF-Regi»
Wenn die SRF-Regionalredaktion verschwinden würde, dann wäre die demokratische Gesellschaft in unseren beiden Kantonen fast ausschliesslich von Informationen aus dem Hause CH Media abhängig. Dieser kleine «Stachel im Fleisch» wäre weg, die «das Geschäft belebende» Konkurrenz bliebe aus.

Klar ist: Spätestens dann würde gar niemand mehr über Entwicklungen im Hause CH Media berichten. Denn CH Media selbst hat daran – was ich sogar nachvollziehen kann – natürlich kein Interesse. Damit schliesst sich der Kreis in diesem Text: Ich bin wirklich überzeugt davon, dass wir über andere Medien berichten müssen. Weil journalistische Medien für die Gesellschaft relevant sind. Solange es sie noch gibt.

Text: Maurice Velati, Leiter Regionalredaktion SRF

Bild: Pixabay