Eine Wahl und ein Grundsatzentscheid

Die Sitzungen des Regionalrats der SRG Deutschschweiz sind gelinde gesagt nicht immer superspannend. Für die Sitzung von letzter Woche gilt dies eindeutig nicht: Neben der Wahl des neuen Präsidenten stand auch die Statutenänderung zur Diskussion, die eine komplett neue Organisation des Publikumsrats zur Folge hat.

Beginnen wir mit dem Resultat: Andreas Häuptli wurde ohne Gegenstimme zum Präsidenten und damit Nachfolger von Andreas Schefer ab Neujahr gewählt. Vorangegangen ist ein Nominationsprozess, der deutlich anders war als bei früheren Wahlen ins Präsidium. Wenn wir über zwei Präsidien zurückblicken, landen wir schnell in einer Zeit, als diese Funktion fest in politischer Hand war: Bis 2007 war der Baselbieter Ständerat Hans Fünfschilling im Amt, danach verbot das neue Parlamentsgesetz eine solche Kombination. Auf Fünfschilling folgte der Luzerner Staatsschreiber Viktor Baumeler, der zuvor Vizepräsident gewesen war und eine lange SRG-Karriere aufwies (und sie schliesslich gar als Verwaltungsratspräsident SRG SSR abschloss). Auf ihn folgte vor acht Jahren mit Andreas Schefer erstmals ein Medienprofi statt eines Politikers – wobei lange Zeit ein Alt-Regierungsrat eines grossen Schweizer Kantons als Favorit fürs Präsidium gegolten hatte. Auch Schefer war ein «Interner»: Er war zuvor Präsident der SRG Bern Freiburg Wallis.

Erstmals eine Ausschreibung
Alle diese Wahlen erfolgten durch eine interne Auswahl, in der Regel per Nomination einer der Mitgliedgesellschaften. Doch die Zeiten haben sich geändert: Seit einiger Zeit setzt die SRG Deutschschweiz für die Besetzung der Führungsfunktionen auf die öffentliche Ausschreibung – so auch jetzt beim Präsidium. Der Nominationsausschuss verzichtete ausdrücklich darauf, Personen direkt anzufragen, um seine Unabhängigkeit bei der Auswahl zu wahren. Den anderen Mitgliedern des Regionalvorstands stand es offen, Leute aus ihrem Umfeld zu einer Bewerbung zu animieren – oder auch sich selbst zu bewerben.

Der Nominationsausschuss führte danach ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren durch, in welchem sich Andreas Häuptli aufgrund seiner grossen Erfahrung in der Schweizer Medienlandschaft als bester Kandidat herausstellte. Sowohl der Regionalvorstand als schliesslich auch der Regionalrat als Wahlbehörde teilten diese Einschätzung. Erstmals wird somit ein Präsident die SRG Deutschschweiz führen, der komplett von aussen kommt.

Ein kleiner Exkurs in die SRG Aargau Solothurn: Auch wir haben in letzter Zeit Funktionen öffentlich ausgeschrieben und damit gute Erfahrungen gemacht. Eine Ausnahme ist die Nachfolge im Präsidium an der nächsten Generalversammlung: Da aus dem Kreis des Vorstands eine qualifizierte und intern breit abgestützte Kandidatur vorliegt, wurde auf eine Ausschreibung verzichtet.

Neue Organisation des Publikumsrats
Eine sehr weitgehende Veränderung bewirkt die Statutenänderung zur Organisation des Publikumsrats, die ebenfalls eine deutliche Mehrheit im Regionalrat fand. Dazu zuerst etwas Einordnung und Geschichte:

Im Sommer 2022 erteilte der Regionalvorstand den Auftrag «Publikumsrat 2024» an ein dreiköpfiges Projektteam bestehend aus Daniella Lützelschwab (freies Mitglied im Regionalvorstand), Philipp Schori (Präsident SRG BE FR VS) und Marina Della Torre (Mitglied Regionalrat und Vorstand SRG AG SO). Der Auftrag umfasste die Erarbeitung einer neuen Organisationsform des Publikumsrates unter Berücksichtigung des aktuellen Mediennutzverhaltens sowie der Segmentierung der Zielgruppen. Zudem sollen die Anpassungen bei SRF mit dem neuen Vier-Kräfte-Modell (SRF 2024) berücksichtigt werden. Dabei ist selbstverständlich stets darauf zu achten, dass die redaktionelle Freiheit von SRF in keiner Art und Weise tangiert wird – dieses Credo gilt auch schon beim bestehenden Publikumsrat.

Der aktuelle Publikumsrat besteht aus 26 fixen Mitgliedern, die zum Teil von den Mitgliedgesellschaften nominiert und zum anderen Teil durch den Regionalrat gewählt werden.
Für das Projektteam war relativ früh im Prozess klar, dass durch das neue Mediennutzungsverhalten ein statisches Gremium aus fixen Mitgliedern nicht mehr dem realen Nutzungsverhalten entspricht. Zudem ist klar, dass die SRG als Organisation mit öffentlichem Auftrag eine Verantwortung hat, die Chancen, welche der technologische und gesellschaftliche Wandel mit sich bringen zu erkennen und auch sinnvoll in die Organisation zu integrieren. Als Trägerschaft ist es wichtig, das Verständnis der Arbeit des Publikumsrates anzupassen, um weiterhin eine stabile Brücke zu bauen zwischen SRF und der Bevölkerung der Deutschschweiz.

Wie setzt sich der neue Publikumsrat zusammen?
Der neue Publikumsrat wird aus einem Resonanzraum, einem Regionalausschuss und einem Leitungsteam bestehen. Mit dem neuen Organisationsmodell wird ein Paradigmenwechsel vollzogen: Das Herzstück der neuen Organisation wird der Resonanzraum sein. Er umfasst alle Mitwirkenden im Publikumsrat: Der Zugang ist weit offen, um möglichst vielen Menschen die Mitwirkung zu ermöglichen. Ziel ist es, dass die Lebenswelten der Bevölkerung der Deutschschweiz so breit wie möglich vertreten sind. Mit dem Regionalausschuss ist das Mitwirken der Mitgliedgesellschaften institutionell verankert. Das Leitungsteam ist das Führungsorgan des Publikumsrats. Es besteht aus vier Mitgliedern, die das Funktionieren des Publikumsrats, insbesondere des Resonanzraums, verantworten und jeweils ein Ressort leiten: Präsidium / Themen / Methodik / Mitglieder.
Der Publikumsrat vertritt durch seine Zusammensetzung möglichst viele Lebenswelten in der Deutschschweiz. Elemente wie Stadt oder Land, Einkommen, Bildung, Herkunft, politisches Verständnis, Identität, Rollenverständnis, Beruf, soziales Engagement etc. sollen in geeigneter Form im Publikumsrat abgebildet sein

Das Leitungsteam legt die künftigen Aktivitäten fest. Dazu konzipiert es Dialogfenster, um im Resonanzraum auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Zusammensetzungen in einen Austausch mit der Deutschschweizer Bevölkerung zu treten.
Aufrufe zur Mitwirkung im Publikumsrat können beispielsweise über das Mitgliedermagazin Link erfolgen, über die Mitgliedgesellschaften, über die Newsletter und die Social-Media-Kanäle der SRG.D, konkrete Anschreibung von Vereinen (z.T. auf Grund der Themensetzung) sowie den Netzwerken des Leitungsteams.

Physisch durchgeführte Anlässe und Befragungen sind ebenso zu organisieren wie methodisch fundierte Online-Befragungen. Eine Mitgliedschaft bei der SRG Deutschschweiz ist keine Voraussetzung für eine Teilnahme.

Die Erarbeitung dieses Vorschlages hat einiges an Zeit gekostet. Das Verständnis für ein Umdenken war nicht von Anfang an bei allen Mitgliedern der SRG.D-Gremien vorhanden. Umso erfreulicher ist es, dass am 5. Dezember der Regionalrat mit einer grossen Mehrheit der Statutenreform für die Neuausrichtung zugestimmt hat.

Das Jahr 2024 wird nun zu einem Übergangsjahr. Der bestehende Publikumsrat wird seine Arbeit wie gewohnt fortsetzen. Parallel dazu wird am Geschäftsreglement und am Konzept der neuen Struktur weitergearbeitet und es werden Menschen für das Leitungsteam rekrutiert, die dann am Aufbau des Resonanzraums beteiligt sein sollen. Ebenso wird es Rücksprachen mit SRF geben und ein Konzept zur transparenten Kommunikation der jeweiligen Resultate ausgearbeitet. Der Publikumsrat mit Leitungsteam, Regionalausschuss und Resonanzraum wird dann ab 1.1.2025 offiziell seine Arbeit aufnehmen.

Text: Peter Moor, Marina Della Torre

Bild: Gerd Altmann, Pixabay